Blogs! – Die Rezension


Blogs!-CoverVor über neun Monaten habe ich eine Rezension des Buches Blogs! der Herausgeber Don Alphonso und Kai Pahl versprochen. Ausgangspunkt war ein Aufschrei in der Weblogszene Anfang des Jahres, als dieses Buchprojekt bekannt wurde. Auch ich war damals einer dieser Schreihälse, weil ich es nicht fassen konnte und wollte, dass sich sehr geschätzte Weblogs in eine Reihe mit Wichtigtuern und mir völlig unbekannten Publikationen reihten. Don Alphonso schrieb mir damals eine E-Mail, in denen er seine Beweggründe erklärte und ich kam zur Einsicht: erst lesen, dann meckern.

Ich habe mir lange überlegt, ob ich nicht auf jedes einzelne Kapitel von Blogs! eingehen sollte. Wobei ich die Befürchtung hegte, dass sich der eine oder andere beteiligte Autor persönlich angegriffen fühlen würde. Ich riskiere das aber. Diese Texte wurden gedruckt, um sie einer breiten Masse, auch Weblog-Interessierten, zur Verfügung zu stellen. Warum sollte ich das Buch also nicht objektiv und vor allem subjektiv bewerten? Der Moment, in dem ich das Buch in die Hand nahm, war überraschend. Sehr schwer, sehr voluminös. 352 Seiten Hochglanzdruck. Was auf den ersten Blick beeindruckend und für mich »Insider« berauschend wirkt, ist das Layout. Alle Weblogs wurden nachgebildet. Allerdings sieht das nur äußerlich schön aus, das Lesen ist teilweise enorm schwierig.

Die Aufteilung ist gut durchdacht. Nur hinterlässt es einen schalen Beigeschmack, wenn in den vorderen Seiten von »Medienrevolution« gesprochen wird und dann seichte Privatgeschichten als exemplarische Beispiele angeführt werden. Dazu aber gleich mehr.

Etwas, das ich nicht verstehe: Das ganze Buch ist durchgängig durchgestaltet, alles ist rund und schwungvoll, man hat nichts dem Zufall überlassen. Aber auf jeder »Startseite« der einzelnen Weblog-Vorstellungen und an einigen weiteren Stellen stehen Name des Weblogs und des Autors, sowie die URLs in vollkommen verpixelter und verwaschener Schrift. Das sieht nach Versehen, nicht nach Absicht aus und wirkt arg gegensätzlich zum Rest.

Die meisten Fotos, die vor allem den »redaktionellen Teil« schmücken, sind völlig deplatziert und zusammenhangslos.

Kommen wir zur Sache. Vorwort und Nachwort sind interessant. Sie zeigen die (nachgestellten?) Dialoge von Don und Kai via Instant Messenger, wie sie sich vorher und nachher über das Buch unterhalten. Es ist eine neue Darstellungsform, die dem Thema sicherlich unter die Arme greift.

Hal Fabers Grußworte stimmen auf das Thema ein, ohne dass der Unwissende weiß, worum es überhaupt geht. Das erklären die darauf folgenden FAQ.

Endlich habe ich ein Einsehen und möchte Don Alphonsos Definition in Zukunft mittragen:

Mit der Auflösung des in seiner Bedeutung klaren Worts ›Weblog‹ hin zur neuen Wortschöpfung ›Blog‹, deren Sinngehalt sich nicht mehr automatisch erschließt, verändert sich auch die Nutzung der Software. Blogs haben sich in letzter Zeit deutlich in Richtung eines Onlinemagazins verwandelt, in dem der Betreiber über seine Sicht der Welt berichtet.

Wenn man »Blog« als Mittelding zwischen Weblog und Tagebuch definieren, und damit neunzig Prozent aller Blogs beschreiben will, dann klingt das einleuchtend.

Aber zurück zum Inhalt. Don erklärt, warum diese Blogs ausgewählt wurden, um im Buch zu erscheinen, und nicht andere. Für mich hört sich das wie eine Entschuldigung an. Entschuldigt, dass wir uns noch nicht weit genug umgesehen hatten, bevor wir mit dem Projekt nach vorne preschten. So ähnlich klang auch Dons E-Mail damals.

Das Kapitel »Ein Dutzend Gründe, warum Blogs den Journalismus im Internet aufmischen werden« definiert hohe Ziele. Es sind tatsächlich zwölf verschiedene, teils ausführlich argumentierte Gründe, die da gelistet werden, und am Ende hat der Leser das Gefühl, Blogs können alles, Blogs sind der Journalismus des noch jungen Jahrtausends.

Dumm nur, dass man schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht wird. Eine Seite weiter beginnen die auf dem Cover gelisteten Weblogs mit ihren »besten Geschichten«. miss.understood hat die zweifelhafte Ehre, den Lesern das zu zeigen, was tatsächlich ein Weblog ist: eine private Homepage. Miss erzählt uns wie immer schöne Geschichten, sie ist auch schon lange in meiner persönlichen »A-List«. Aber es sind private Geschichten, nichts, was den Journalismus im Internet aufmischen könnte. Und das setzt sich natürlich im Rest des Buches so fort.

Jeder Autor hat zehn Seiten zur Verfügung, um sich von seiner Schokoladenseite zu präsentieren. Ich möchte behaupten, das wird für die meisten von ihnen auch die einzige Gelegenheit in ihrem Leben sein, die eigenen Texte in Buchform aus den Händen eines professionellen Verlags zu finden. Miss Understood macht das Beste daraus. Es ist lesenswert.

Mit der Allee der Spackonauten wird man tief heruntergerissen. Nicht nur das Lesen von gelber Schrift auf schwarzem Grund ist beschwerlich. In dem ersten Beitrag von »Banana« werden einem Worte um die Ohren gehauen, die ich in meinem Leben noch nie gehört habe. Was ist ein »Ride-Score«, ein »First Drop« und was zur Hölle sind »Thrill Seeker«? Immerhin, ich habe mitbekommen, dass es ums Achterbahnfahren geht.
Der Autor hat hohe Ansprüche an seine Texte, erreicht sie aber nicht. Auch die nachfolgenden Werke erreichen nur sehr zögerlich und selten ein Niveau, für das ich Druckerschwärze rechtfertigen würde.

Emily tröstet den Leser wieder ein wenig. Geschichten über ihren Stiefvater und ihre Oma lesen sich recht kurzweilig und flüssig.

Lydia hat in ihrem olivgrünen Umfeld viel zu erzählen. Da ich weiß, dass sie es mir einmal mehr übel nehmen wird, wenn ich sie oder das Buch kritisiere, belasse ich es hierbei: Das Thema ihrer Geschichten erreicht mich nicht. Vielleicht lebt Lydia in einer anderen Welt, vielleicht hat sie nur eine andere Sicht der Dinge – ich konnte die Texte nur mit Mühe zu Ende lesen, auch wenn sie stilistisch teilweise recht interessant wirken.

Die elfengleiche Sandra bringt endlich das, weshalb ich das Buch gekauft habe: Weblog-Geschichten. Keine auftrabenden Ergüsse, sondern pointierte Erlebnisse aus ihrem Alltag. Viel Platz füllt ihre Rezension der Arbeitsagentur-Website, die ich – obwohl online schon komplett durchgelesen – noch einmal genoss. Außerdem möchte ich erwähnen, dass dieses zeitlos schöne, weil schlichte Layout das Angenehmste im kompletten Buch war.

Warum jetzt.de in diesem Buch ist, weiß ich immer noch nicht. Trotz gegenteiliger Beteuerungen am Ende von Blogs!: Das sind keine Weblogs. Das sind Jungautoren oder welche, die sich dafür halten. Dieses Kapitel wurde vollständig übergangen, nachdem ich mehrmals versucht habe, Texte anzulesen.

Danke, Anke, sie gibt mir den Glauben an Weblogs zurück. Nur der Grund, warum sie Rezensionen von längst gelaufenen Filmen drucken lässt, erschließt sich mir nicht. Egal.
Am aufschlussreichsten fand ich die Erklärung, dass sie ihre Artikel abends schreibt, eine Nacht darüber schläft und morgens dann online stellt. Wusste ich noch nicht, dass es so etwas gibt.

Ligne Claire von Dirk Hesse habe ich zum ersten Mal gelesen, als er durch das Buch gehyped wurde. Ich begann damit in einer Zeit, als er kaum Updates machte und wenn, dann nur Fotos. Ich fragte mich, wieso ausgerechnet er ins Buch durfte und fand die Antwort erst jetzt im selbigen. Schöne Texte, sehr sozialkritisch, sehr beobachtend, interessant. Manchmal auch knapp daneben.

Auf Frank und argh! lasse ich nichts kommen. Mein »Weblog-Papi«, der mich indirekt zum Bloggen brachte, schreibt immer noch die besten Texte der Welt. Vielleicht auch deshalb, weil er ein sehr außergewöhnliches Leben mit einer sehr außergewöhnlichen Einstellungen zu dessen Dingen hat. Meine absolute Lieblingsgeschichte ist auch drin: Verzeihung!

Den Kutter kennt man ja auch schon seit ein paar Tagen. Der Held der Dichtung & Wahrung zeigt sich von seiner besten Seite. Es sei noch angemerkt: Layout 1A.

Miagolare war eine Premiere. Lu kannte ich noch nicht. Sie hat einen interessanten Sprachstil. Zumindest im Buch bestehen sehr viele Artikel aus gestellten Zweier-Konversationen, die teilweise sehr anstrengend sind. Dennoch werde ich sie zukünftig öfter lesen.

Auch die Reisenotizen aus der Realität waren neu für mich. Die ersten Beiträge sind belanglos, das hätte auch aus jedem anderen Weblog stammen können, sogar aus meinem. Dann folgt eine sechsseitige Berichterstattung über eine Buchmesse. Ich habe spontan beschlossen, das irgendwann anders zu lesen.

dekaf. Deutsch-kalifornische Freundschaft. Ist auch drin.
Andreas Schäfer hat spätestens seit diesem Beitrag schlechte Karten bei mir, da helfen auch keine sarkastischen Erzählungen aus Kalifornien oder München mehr.

Woran Siebenviertel erkrankt ist, weiß ich nicht. Aber man kann sich nicht über unfreundliche deutsche Kassiererinnen beschweren, wenn man sich in jeder – ich betone: jeder – Geschichte über Gott und die Welt beschwert und für nichts ein positives Wort übrig hat. Ich habe selten so etwas Verbittertes, ja teilweise Hasserfülltes gelesen, wie auf diesen zehn Seiten.

Herr Shhh hat mich begeistert. Ich kannte ihn noch nicht und er macht seine Sache gut. Bei seiner Hommage an Frau Ming-Schneider hatte ich sogar eine Träne der Rührung im Auge. Ein neuer Kandidat in meiner Weblog-Leseliste.

wo+man hatte ich schon im Januar auf dem Cover gesehen und mich gefreut. Leider weiß ich nicht so recht, wie ich das alles bewerten soll, denn dieses Gemeinschaftsweblog von miss.understood und Herrn Shhh ist schon seit langer Zeit tot, es gab ewig keine neuen Beiträge mehr. Dass das sehr schade ist, muss ich nicht betonen.

Auch Herausgeber Kai Pahl gibt sich mit seinem Weblog Dogfood die Ehre. Schade, dass er so eine so langatmige und uneinheitliche Geschichte zum Besten gibt. Kai hat wesentlich bessere Sachen auf Lager. Der Rest rettet den Eindruck nicht wirklich.

Und dann noch DotComTod. Was zum Teufel hat das im Buch zu suchen? Ich weiß, es ist das Prestigeprojekt von Don Alphonso, aber es ist kein Weblog. Es ist eine forumartige Website, bei der Menschen ihre Geschichten zu »exitorientierten Unternehmen« (Habe ich mich eigentlich schon einmal über das Wort »exitorientiert« aufgeregt?) loswerden können. Mehr nicht. Da stehen im Buch Blogs! (ich möchte noch ein zweites Ausrufezeichen dahinter setzen) Beiträge, die sich wie dieser Satz lesen:

Der Geschäftsbericht 2001 weist für die ZLU einen Kaufpreis von 35.951.000 Euro aus, davon 23.008.000 Euro in bar, 669.000 Zinsen und 93.552 Pixelpark-Aktien zum Wert von 131,20 Euro.

Hallo? Weblog? Ich habe nicht weitergelesen.

Dann ist der Weblog-Teil beendet und Kai erzählt uns etwas über die »Fünf Waffen für die Massenkommunikation« und ich bin erleichtert, dass der – sogar für mich interessante – Teil alles berücksichtigt und trotzdem angenehm kurz und auch für Einsteiger verständlich ist.

Im letzten Kapitel erzählt uns Don schließlich etwas, von dem er wahrscheinlich am meisten versteht. »Was tun, wenn der Anwalt kommt?« möchte ich als interessantestes, weil für mich lehrreichstes Kapitel bezeichnen. Sogar eine Vorlage für ein Weblog-Impressum gibt es.

Was bleibt nach 352 Seiten? Das ungute Gefühl auf jeden Fall, für ein paar wenige interessante Dinge fast 25 Euro auf den Tisch gelegt zu haben. Der Eindruck, dass der einleitende Gedanke auch nur ein Gedanke ist, und dass die vorgestellten Weblogs so rein gar nichts mit dem Vorsatz, den Journalismus aufmischen zu wollen, gemein haben. Das vollkommen neue Gefühl, Weblogs ganz angenehm im Bett lesen zu können. Ein dickes Buch, das wohl nie wieder angerührt in meinem Bücherregal verstauben wird.

Ich würde das Buch gerne empfehlen, aber ich kann das nicht ohne schlechtes Gewissen. Sicher, es ist eine ziemlich kurzweilige Lektüre für Zwischendurch und die eine oder andere Geschichte fesselt sogar ein wenig. Aber für Rezipienten außerhalb der Blogosphäre ist dieses Buch genauso wenig geeignet wie für Weblogger, die sich neue Erkenntnisse erhoffen.

Blogs! – Text und Form im Internet
ISBN 3-89602-600-3
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
352 Seiten
24,90 Euro

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